Grenzen definieren Länder, Sprachräume, Gegenstände, das menschliche Sein und Selbst. Sie separieren und schränken ein, lösen Befreiungsreflexe aus. Sie schützen privaten und öffentlichen Raum, bieten Struktur und Orientierung per Erziehung oder Gesetz. Grenzen sind omnipräsent. Sie spielen bei globalen Themen wie der gegenwärtigen Pandemie oder der Migration eine Rolle, aber auch im individuellen Umfeld des Einzelnen, der sich in Hinsicht auf Leistungssteigerung und Selbstoptimierung möglichst über seine gefühlten Grenzen hinaus entwickeln soll.
HIRASCHNEI, die neu gegründete Künstlergruppe aus Paul Hirsch, Thomas Schneider und mir interessieren Formen subtiler Grenzziehungen und -überwindungen, die sich im täglichen sozialen Handeln manifestieren und eine enorme Wirkung entfalten können. Wir gehen von Alltagssituationen aus und übertragen diese in einem installativen Charakter in den geschützten Kunstraum, der als Versuchsraum zur Schärfung der Grenzwahrnehmung angeboten wird.
Streichhözerzählwerk, Christiane Rath
Ich beleuchte den Aspekt des scheinbar allgemeinen Konsenses, der moralischen Übereinkünfte oder roten Linien. Dieser ethische Zugang, der dem Gewissen Grenzen setzt, unterliegt zwar einem ständigen öffentlichen Diskurs, aber das reale Handeln lässt häufig aus pragmatischen, ökonomischen oder schlicht egoistischen Gründen die Gewissensgrenzen schnell verschwimmen. Jahr für Jahr ertrinken Menschen auf der Flucht im Mittelmeer: 3283. 4054. 5082. 3546. 2262. 1885. 1426… Mein Streichhölzerzählwerk materialisiert jährlich die abstrakten Zahlen und konfrontiert das Auge mit der Singularisierung. Die Streichhölzer sind ein Zählwerk und keine Verkörperung von Menschen. Aber sie haben mit Grenzen zu tun. Neue Grenzen um Europa. Grenzenloses Wegsehen. Ausgrenzung von Realität. Grenzen der Menschlichkeit.
Grenzstein, Thomas Schneider
Thomas Schneider untersucht alltägliche Symbole, die in ihrer Unschuldigkeit erst in zweiter Betrachtung ihren ausschließenden Charakter offenbaren. Durch kleine Perspektivverschiebungen können solche Grenzen im metaphorischen Sinne zu Leitern des Überwindens ihrer selbst werden. Aus dem gewohnten Kontext herausgenommene „alltägliche Dinge“ erhalten durch eine Modifikation eine neue Bedeutung und setzen sich mit ihrer ursprünglichen Funktion auseinander. Der friedliche und harmlose Jägerzaun als kleinste Abgrenzung des privaten Außenraums schafft Distanz zu anderem Besitz und zum öffentlichen Raum.
Wird er durch eine einfache Drehung in eine Leiter verwandelt, verschieben sich Perspektive und Funktion: der ausschließende Charakter des Zauns wird transformiert zur metaphorischen Überwindung einer Distanz. Thomas Schneider Art
GRENZEN, Paul Hirsch
Paul Hirsch fokussiert auf die unvermeidlichen Grenzen, die bei der sozialen Interaktion entstehen. Die Freiheit des einen schränkt notwendigerweise die Freiheit des anderen ein. Er wählt als Kommunikationsmedium das Morse-Alphabet, das trotz seiner digitalen Anmutung Spielräume der Interpretation zulässt, die kreative Freiräume schaffen, in denen neue Perspektiven entstehen können.
Streichhölzerzählwerk, Christiane Rath
ICH DU WIR, GENZEN, Paul Hirsch
Malefiz, Christiane Rath
Streichhölzerzählwerk in Köln, Christiane Rath
Ausstellungsansicht, Düsseldorf